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In meiner Schulzeit – ja, das ist lange her und nein, ich habe nicht mehr auf Schiefertafeln geschrieben – stand im Matheunterricht direkt vor mir auf dem Lehrerpult ein großer Anspitzer. Mein Freund aus der hintersten Reihe (da wo die mathematisch nicht so Hochbegabten saßen) benutzte diesen Anspitzer auffallend häufig in Prüfungssituationen. Wie er mir Jahre später gestand, hat er sich manchmal extra die Mine abgebrochen, um nach vorn zum Anspitzer gehen zu können. Dort hat er dann heimlich nach Lösungen geschielt. Je länger dieses Schielen ging, desto kürzer wurde der Bleistift.

Die Dreiecks-Verkürzung

Solche Verkürzungen entstehen oftmals:

  • aus der Not heraus, sich gegen eine ungesunde Strömung abzugrenzen,
  • weil man das Evangelium noch prägnanter vermitteln will oder
  • weil man die Lieblingstheologien stark überzeichnet.

Im Bereich der Soteriologie (der Lehre vom Heil bzw. der Erlösungstat Christi) beispielsweise gibt es zwei bekannte Extreme:

Auf der einen Seite steht eine sozial-liberale Verkürzung, die dazu neigt, sich einseitig auf strukturelle Veränderungen, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu fokussieren, dabei jedoch oft die Notwendigkeit der persönlichen Umkehr und des Glaubens an Jesus Christus aus dem Blick verliert.

Dem gegenüber steht die Tendenz einer traditionellen Verkürzung, welche Erlösung allein auf die Vergebung von Sünde und auf das ewige Leben reduziert und alle anderen Erlösungsdimensionen, die Christus am Kreuz für uns errungen hat, entweder großzügig vernachlässigt oder sogar gänzlich ausblendet.

Die Angst den Kern des eigenen Evangeliumsverständnisses zu verlieren, hat viele Verkürzungsrichtungen angetrieben, sich von anderen Strömungen stark abzugrenzen. Deshalb schärften sie die eigene Überzeugung immer noch weiter.

Es tut gut, sich zu fragen, zu welcher Verkürzung man persönlich wohl den familiärsten Bezug hat. Denn die Blindheit für die eigenen dunklen Flecken bestärkt, dass wie wild und oft absolut gutmeinend am Evangelium gehobelt und gespitzt wird.

Das Resultat:

Die perfekte Bleistiftspitze taugt nicht mehr zum Schreiben. Dafür fügt sie dem Gegenüber manchmal noch schmerzhafte Stiche zu.

truestory IMPULSMAGAZIN

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Weitere Verkürzungstendenzen

Es ist unsere Aufgabe, unsere eigenen Verkürzungen zu entlarven und uns wieder hin zu einem ganzheitlichen Evangeliumsverständnis zu bewegen. Das ganze Evangelium für die ganze Welt – nichts weniger. Ich kann hier nur einzelne Verkürzungen benennen, die weit verbreitet sind:

Reich Gottes: Man kann es auf etwas rein Jenseitiges beziehen. Christus hat jedoch gesagt, dass es bereits angebrochen ist – mitten unter uns, in uns.

Reich Gottes ist mindestens ebenso diesseitig wie jenseitig und das gibt uns eine Verantwortung zur Gestaltung des Hier und Jetzt.

Heil: So oft wird Heil und Erlösung auf etwas Subjektives reduziert. Es wird nur noch »personal« gedacht, dabei ist es mindestens ebenso sozial und global, kosmisch. In einer seiner ersten öffentlichen Reden in der Synagoge von Nazareth bezieht Jesus die Prophetie aus Jesaja 61 auf sich. Er macht damit unmissverständlich klar, dass er gekommen ist, um den Armen das Evangelium zu predigen, den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, den Blinden, dass sie sehen sollen, die Zerschlagenen in Freiheit zu entlassen und um das Gnadenjahr des Herrn auszurufen. Damit spielte er auf das Halljahr an, das fünfzigste Jahr im Zyklus des Volkes Israel. In diesem Jahr sollten Grund und Boden zurück an die ursprünglichen Besitzer gehen, Sklaven die Freiheit geschenkt bekommen und Schulden erlassen werden.

Tatsächlich hat Christus mit seinem Leben und Sterben eine umfassende Erlösung für alle, die nach Leben und Sinn dürsten, gebracht. Diese Erlösung geht über eine rein persönliche Dimension hinaus. Sie will auch soziale und globale Veränderungen bewirken, z.B. Gerechtigkeit und Gleichstellung für Unterdrückte, Missachtete, Arme und Unfreie. Die Erlösung durch Jesus bezieht sich auf das ganze Spektrum menschlicher Sehnsüchte. Die Vergebung unserer Schuld gehört unbedingt dazu. Sie ist aber nur ein Bestandteil seiner gewaltigen Erlösungstat am Kreuz.

»Die Erlösung von Jesus spricht das ganze Spektrum menschlicher Sehnsüchte an.«
Würden wir das Evangelium ganzheitlich verstehen und leben, würde das dem christlichen Glauben einen enormen Attraktivitäts- und Glaubwürdigkeitsschub versetzen. (Symbolbild) Foto: Kaique Rocha.

Alle Dimensionen dieser Erlösung zu erfassen, wäre ein massiver Game-Changer für unsere Christenheit. Würden wir das Evangelium ganzheitlich verstehen und leben, würde das dem christlichen Glauben einen enormen Attraktivitäts- und Glaubwürdigkeitsschub versetzen. Dabei kommen wir aber um theologische Denkarbeit nicht herum.

Nehmen wir als Beispiel einmal die »Entkürzung« vom Begriff »Sünde«. Oft geht es uns bei Sünde nur noch um moralische Vergehen. Dabei bedeutet Sünde im Ursprung: Zielverfehlung. Das Ziel war der große, allumfassende Shalom (hebräisch: »Frieden«) Gottes. Unser Beziehungsnetzwerk sollte in diesem Frieden ruhen. Buße ist dann eben nicht nur ein Benennen meines moralischen Fehlverhaltens und auch nicht nur dieses berühmte Übergabegebet (das ich persönlich auch gebetet habe – mehrfach – und es hat mir geholfen und gut getan – by the way!).

Vom Urgedanken her ist Buße ein Umsinnen, ein Umdenken, ein Paradigmenwechsel. Buße ist die Hinwendung zu Gott, ein Heimkehren. So war der Aufruf zum Kreuz, den Charles Finney im 19. Jahrhundert bekannt gemacht hat, sehr viel ganzheitlicher als er heute oft nachgelebt wird.

Wer diesem Aufruf damals gefolgt ist, durfte gleich unterzeichnen, dass man ab sofort gegen Sklaverei aufsteht.

Dort hat ein echter Paradigmenwechsel stattgefunden. Wenn Buße den Prozess der Umkehr und der Hinwendung bezeichnet, darf man mutig infrage stellen, ob sich die Menschen Gott tatsächlich nur zuwenden können, indem sie Sünden bekennen. Vielleicht ist dann die Hinwendung zu Gott allein schon die Buße, selbst wenn dabei noch kein Schuldgefühl mitspielt. Dies deckt sich mit meinen Beobachtungen: Menschen strecken sich auch heute noch sehnsüchtig nach Gott aus und wenden sich ihm zu. Allerdings bleibt das Gebet: »Herr, vergib mir meine Schuld!«, das in manch einer Praxis schon fast zu einem magisch-verklärten Zauberspruch geworden ist, häufig aus.

Viele Christinnen und Christen spüren, dass das Evangelium in dieser verkürzten Form irgendwie nicht mehr ganz so greift – weder in ihrem Inneren noch in die Gesellschaft hinein. Es steht ein Umbruch an, der zu einem Aufbruch werden kann. Wir stehen an einer Schwelle zu etwas Neuem.

Die Sache mit der Schande

Unser Hauptnarrativ in den letzten Jahrzehnten war geprägt vom Dreiklang: Sünde – Vergebung – ewiges Leben. Diese Erzählung ist nicht falsch – sie ist zutiefst biblisch begründet – allerdings sehr verkürzt. Im letzten Jahrhundert hat dieser Aspekt des Evangeliums perfekt gegriffen. Er konnte bei der Lebenswelt der Menschen anknüpfen, weil die Menschen stark schuldgeprägt waren. Sie haben sich nach jemandem gesehnt, der ihnen vergibt. Auch war nach zwei Weltkriegen eine weltflüchtende Form der Hoffnung auf das Leben nach dem Tod verständlich. Soziologen beobachten nun, dass wir in den letzten Jahren durch einen massiven gesellschaftlichen Umbruch und Wandel gegangen sind.

Ein Hauptpunkt dabei ist, dass wir uns von einer starken Schuldprägung zu einer Kultur gewandelt haben, die eher durch Beschämung und Schande geprägt ist. Und dies verändert alles.

Werte werden nicht mehr durch absolute Fixpunkte bestimmt, sondern vielmehr durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.

»Authentisch« wird zur neuen Wahrheit – so kann eine Person lügen, betrügen und unmoralisch leben, aber: »Hauptsache, sie ist echt und sie selbst

Menschen sagen nicht mehr: »Ich mache Fehler«, sondern: »Ich bin ein Fehler«. Diese Entwicklung wird zutiefst befeuert durch Social Media. Dort wird man ständig mit der schön gephotoshopten Schaufensterwelt der Freundinnen und Freunde konfrontiert, die dann auf die eigene innere Zerbrochenheit des Lebens trifft.

Menschen suchen deshalb nicht mehr primär nach einem »Vergeberq, sondern nach einem »Entschämer«. Sie suchen jemanden, der sie in ihren Minderwertigkeitsgefühlen, in ihrem »ich bin nicht genug«-Denken annimmt und bedingungslos liebt. Natürlich sind Sünde und Vergebung nach wie vor eine Realität – nur dockt dieser Aspekt des Evangeliums kaum mehr an der Lebensrealität der Menschen an.

»Christus hat am Kreuz nicht nur aus Schuld erlöst, sondern ein wahres Erlösungsfeuerwerk angezündet.«

Es erinnert mich an den Mars Climate Orbiter, eine Sonde der US-Raumfahrtbehörde NASA. Sie wurde für 193 Millionen US-Dollar produziert und war zehn Monate unterwegs, um den Mars zu erforschen. Dummerweise haben zwei involvierte Parteien mit verschiedenen Systemen gerechnet – die einen im metrischen, die anderen mit Fuß und Inch.

Resultat: Die Sonde verglühte beim Eintritt in die Marsatmosphäre, weil weder Geschwindigkeit noch Eintrittswinkel gepasst haben.

Genauso verpufft unser auf Schuld und Vergebung verkürztes Evangelium, wenn es in die Atmosphäre von schambehafteten Menschen trifft. Wir rechnen und denken in verschiedenen Systemen und die Gute Nachricht hat keine Möglichkeit, auf dem »Planeten« zu landen und anzudocken. Für die Christinnen und Christen ist die Folge davon eine Sprachlosigkeit, die wir nur dadurch beheben können, dass wir uns selbst wieder auf die Reise machen und die wunderbar heilsame Frage stellen:

Was – um Himmels willen – ist eigentlich das Gute an der Guten Nachricht?

Jesus und seine Jünger. Filmszene aus The Chosen Staffel 3 Folge 2. Foto: The Chosen 

Viel zu rasch wird diese salopp mit: »Das Kreuz«, beantwortet. Die Tatsache, dass Jesus die Zwölf und auch die 72 schon mit dem »Evangelium«, mit der guten Nachricht ausgesendet hat, sollte jedoch zum Denken anregen. Und damals gab es noch gar kein Kreuz. Auch hat er bereits vor seinem Tod und der Auferstehung gesagt: »Es ist vollbracht.« Scheinbar ist das Evangelium schon vor dem Kreuz in seinem Leben sichtbar. Das Kreuz ist nicht alles – auch wenn ohne das Kreuz am Ende alles Nichts ist. Das Evangelium geht weit über unsere Verkürzung auf eine Erlösung von Schuld am Kreuz hinaus.

Und das ist die wunderbare Neuigkeit:
Es gibt so viele Anknüpfungspunkte für die heutige Gesellschaft.

Der Sündenfall – ja, jetzt gehen wir weit zurück – war nicht einfach nur ein Sündenfall, sondern mindestens ebenso ein Scham- und ein Angstfall. Die drei großen Dynamiken, die man in unterschiedlichem Maß in verschiedensten Kulturen ausmachen kann. Adam und Eva haben sich »schuldig« und »beschuldigt« gefühlt, haben sich aus Angst versteckt und beschämt bedeckt. Christus‘ Erlösungstat hat uns genauso aus Scham und Angst befreit wie aus Schuld. Und da bilden sich nun Andockstellen für Menschen aus allen Kulturkreisen quer durch die Geschichte hindurch.

Nur müssen wir lernen, wieder die ganze Klaviatur zu bespielen und nicht nur penetrant unsere persönliche Lieblingstaste zu bedienen.

Das Erlösungswerk

Christus hat uns am Kreuz nicht nur aus unserer Schuld erlöst, sondern ein wahres Erlösungsfeuerwerk angezündet. Das Leben, das Sterben und die Auferstehung von Jesus bilden zusammen die eine gute Botschaft, die aus vielen verschiedenen guten Botschaften besteht. Sie alle zeigen den einen Jesus, wie er individuell an den einzelnen Sehnsüchten der Menschen anknüpft und darauf eingeht.

Einem Zachäus in seiner Einsamkeit begegnet er mit Nähe und Freundschaft.

Der gekrümmten Frau in ihrer Beschämung schenkt er Würde.

Mit der Frau am Brunnen spricht er über ihren Durst nach echtem Leben.

Einen Nikodemus holt er in seiner Suche nach dem Sinn des Lebens ab.

Jesus und Nikodemus. Filmszene aus The Chosen Staffel 1 Folge 7. Foto: The Chosen

Wie oft verliert er kein Wort zum Thema Sünde, Vergebung oder Umkehr. Diese Thematik spricht er nur dann an, wenn er spürt, dass es dran ist, zum Beispiel beim gelähmten Mann am Teich Betesda oder im Nachgespräch mit der Ehebrecherin. Seine unterschiedlichen Handlungen sind genauso wenig austauschbar wie seine Heilungen oder seine Gespräche. Situativ hat Jesus seine Zugänge gewählt und in die vorhandenen Sehnsüchte hineingesprochen. Genau diesen Jesus mag ich so sehr.

Wenn wir das genauso beherzigen, schaffen wir Landebahnen für das Evangelium bei Menschen, die beim Wort »Schuld« keinen Berührungspunkt verspüren.

Dadurch ergeben sich bei unseren Mitmenschen Momente der Umkehr und der Hinwendung zu Gott, weil sie in ihren Sehnsüchten Gottes Erlösungsdynamik erfahren.

Nicht Bedrohung, sondern Ergänzung

Es ist heilsam, uns selbst aus dem Ungleichgewicht in die Balance zu bewegen und dabei die aufgrund der eigenen Einseitigkeit vernachlässigten Aspekte der Erlösung nicht mehr als Feindbild, sondern als Ergänzung zu sehen. Ohne dabei – und das schreibe ich mit allem Nachdruck – die Wichtigkeit der persönlichen Errettung durch Christus abzuschwächen.

Es geht also nichts verloren, sondern vielmehr wird längst verloren Geglaubtes wieder neu entdeckt und belebt. Die Kreuzestat verblasst nicht etwa, sondern wird ungleich farbiger und kraftvoller. Das Evangelium kann in seiner ungebremsten Schönheit und Wahrheit in unserer Welt aufstrahlen.

Das Evangelium kann in seiner ungebremsten Schönheit und Wahrheit in unserer Welt aufstrahlen. (Symbolbild) Foto: Vlad Chețan
Die richtige Bewegung ist darum hoffnungsvoll nach vorn orientiert – hinein in ein Revival eines ganzheitlichen Evangeliums.

Falls dein Evangelium zu »stummelig« geworden ist, um es zu halten, geschweige denn, um anständig damit zu schreiben, ist es vielleicht Zeit, diese Reise zurück zum ganzen Evangelium zu machen, das Christus mit jeder Pore verkörpert hat.

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