Das Ehrenamt ist in der Krise. Gerade zwar mal wieder im Berliner Schloss Bellevue geehrt, hat es sich überall zurückentwickelt. Fragt man das THW, den Handball-Verein oder auch die Freiwillige Feuerwehr, werden allerorts verzweifelt Engagierte, freiwillig Mitarbeitende, sich der Ehre wegen Einsetzende – kurz: Ehrenamtliche gesucht.

Das ist in Jugendarbeit und Kirche nicht anders. Hört man Verantwortlichen aus Jugendarbeit und Gemeinde zu, die sich auf die Suche nach neuen Strukturen und Ideen für ihr Engagement begeben, werden fast immer fehlende Ehrenamtliche als Ursache angeführt, oftmals auch getarnt als: nachgelassene Verbindlichkeit derer, die als Ehrenamtliche eigentlich vorhanden sind.

Natürlich gibt es gute Gründe dafür, dass das Engagement vieler Ehrenamtlicher zurückgegangen ist. Die Gründe sind vielfältig und sicherlich auch individuell. Aber manche Ursachen dafür, dass es dringend gelingen muss, Ehrenamtliche für ein Engagement im der Jugendarbeit (zurück) zu gewinnen, treffen überall gleichermaßen zu. Sechs dieser Gründe skizziere ich nachstehend:

  1. Der Anspruch an die Zeit von Jugendlichen durch Schule hat deutlich zugenommen (zeitliches Argument). Gesellschaftlich benötigt und (daher) politisch gewollt ist Schule heute nicht mehr nur der Ort für Unterricht, sondern zudem auch der (ebenfalls) verpflichtende Aufenthaltsort von Kindern und Jugendlichen in der zweiten Tageshälfte.
  2. Schule besetzt oftmals die wichtigste Priorität im Leben von Jugendlichen (psychologisches Argument) – als wäre Schule der Vollzeitjob für Jugendliche, wie es die Arbeitsstellen für Erwachsene sind. Rund 38,5 Stunden wöchentlich sind Schüler mit »Schuldingen« beschäftigt, wie eine Umfrage von UNICEF und Deutsches Kinderhilfswerk ermittelte. »Schule« ist mit Hausaufgaben, Klausurvorbereitung und Referaten, aber auch mit Nachhilfe, Lerngruppen und den Sorgen (resultierend aus Leistungsdruck) zu einer für viele Jugendliche alles/vieles bestimmenden psychischen Größe ihres Lebens mutiert.
  3. Der demografische Wandel greift. Die »Babyboomer« gehen in dieser Dekade in Rente. Was bereits in den 70er Jahren Schulklassen, die teilweise über 40 Kinder beherbergten, sukzessive wieder kleiner werden ließ, lässt heute die Anzahl der Aktiven in unserer Gesellschaft und damit eben auch im Ehrenamt weniger werden – die Babyboomer beginnen, in Rente zu gehen.
  4. Familienleben hat an Bedeutung gewonnen, und zwar sowohl für die heutige Generation Väter und Mütter, die sich selbst stärker als Eltern zu Hause einbringen wollen (und damit dem Ehrenamt ebenfalls weniger stehen), als auch für Kinder und Jugendliche, die mehr Freizeit zu Hause verbringen wollen, als dass sie darauf angewiesen wären, mit der christlichen Jugendarbeit ein »zweites Zuhause« haben zu müssen, durch das sie ganz automatisch zu sehr verlässlichen Ehrenamtlichen mutieren würden.
  5. Die digitale Multioptions- und Alles-geht-immer-Gesellschaft produziert erschöpfte Menschen. Die Erholungsbedürftigkeit insbesondere jüngerer Menschen ist hoch. Kaum ein Vertreter älterer Generationen kann dies begreifen, schließlich »haben wir damals viel mehr malocht, als ihr heute«. Der zu verarbeitende Never-Ending-Input einer Online-Multioptionsgesellschaft und, eben, auch die Verlockungen des Anything-Goes-Lifestyles erschöpft aber tatsächlich in einer belastenderen Weise, als die Anstrengungen im Leben vorheriger Generationen.
  6. Die große Mission, »Menschen (aus der Hölle) zu retten«, existiert nicht mehr. Sicherlich kein Motiv im Handballverein, hat aber dieses Motiv in vielen christlichen Jugendgruppen, Gemeinden und Kirche über viele Jahre zusätzliche Kräfte freigesetzt und Engagierte mobilisiert, sich ehrenamtlich gegen jeden noch so großen inneren Schweinehund »zur Rettung von Menschen« zu engagieren. Die Theologie hat sich entwickelt und die Hölle theologisch zumindest als nicht mehr relevant identifiziert, so dass Menschen heutzutage keinen geistlichen Drang mehr verspüren, sich zur Rettung anderer Menschen zu engagieren.

Sechs prominente – im Grunde für jeden Kontext in Deutschland – relevante Gründe, weshalb das Ehrenamt stark zurück gegangen ist. Weil aber nun Jugendarbeit-Invest ohne ehrenamtliche Mitarbeit gar nicht funktionieren kann und bei zurückgehender Hauptamtlichkeit erst recht eigentlich genau den umgekehrten Trend benötigte, ist es dringend geboten, sich darüber Gedanken zu machen, wie Ehrenamtliche, die man durch die Corona-Intervention erst recht verloren hat, (zurück) zu gewinnen sind.

Volunteer at work
Foto Alexander Simonsen, Unsplash.

Es folgt aber zunächst ein Beispiel, wie es ganz bestimmt nicht funktioniert. Vor einigen Jahren hörten meine erstaunten Ohren eine hauptamtlich engagierte Person aus dem Großbereich Kirche folgendes, laut schimpfend, ausrufen: »Da wollen die jetzt von mir, dass ich dieses bestimmte Projekt betreue und stellen mir noch nicht mal ein Team mit Ehrenamtlichen zur Verfügung. Jetzt soll ich mir die ganz alleine suchen. Als wenn ich dazu Nerven hätte. Die haben ja wohl den Schuss nicht gehört!«

Diese Person dürfte heute noch wütend mit dem Fuß aufstampfen, befürchte ich, denn was funktioniert hier nicht? Richtig, irgendwelche Ausführende zu finden für irgendwelche bereits definierten Aufgaben, die ein anderer zu verantworten hat. So, als würde man wahllos Statisten für eine größere Filmszene suchen, bei der es letztlich egal ist, ob nun ausgerechnet ich oder Max Mustermann links respektive rechts am Leinwand-Rand stehen, während in der Mitte zentral die Hauptrolle glänzt.

Aber ich sehe fünf Chancen, wie wir stattdessen Ehrenamtliche für ein Engagement in der kirchlichen Jugendarbeit (und anderswo) (doch noch) gewinnen und behalten können. Fünf Prinzipien, die ich selbst, so lange ich direkte Verantwortung für Kinder- und Jugendarbeit trug, selbst erfolgreich angewandt habe und daher als bewährt weitergeben möchte:

  1. Suche nicht Mitarbeitende für Arbeit – suche Arbeit für Mitarbeitende. Dieses Prinzip umzusetzen ist nicht immer ganz leicht, denn natürlich ergeben sich im kirchlichen Jugendarbeits-Betrieb Leerstellen, die mit Engagierten gefüllt werden müssen. Und selbstverständlich ist es auch erlaubt, auf eine Apfelkiste zu steigen und laut zu rufen: »Ich brauche noch drei Freiwillige für ...!«. Wer aber in der Jugendarbeit Verantwortung trägt, sollte nach Möglichkeit von dem Prinzip, Leerstellen auffüllen zu müssen, wegkommen und sich stattdessen hin entwickeln zu einem Prinzip, Menschen in den Blick zu bekommen, um sie in ihrer Persönlichkeit zu fördern und um ihren Charakter gewinnbringend für die Jugendgruppe zu nutzen. Dieses Prinzip lenkt den Blick weg vom Mangel (»Ich habe keine Mitarbeiter«) und hin zum Auftrag der Jugendgruppe oder Organisation (»Wie kann ich dich fördern?«).
  2. Mache ehrenamtliches Engagement für die persönliche Entwicklung schmackhaft. Ehrenamtliches Engagement in der Jugendarbeit vermittelt ganz nebenbei so manches, was Kindergarten, Schule, Elternhaus und Konfirmandenunterricht nicht vermitteln. Habe ich Personen als potenzielle Ehrenamtliche um ihretwillen (siehe 1.) im Blick, kann ich ihnen das ehrenamtliche Engagement auch als etwas, »von dem du dein Leben lang etwas haben wirst« schmackhaft machen. Selbstbewusstsein, Konfliktfähigkeit, Projektmanagement, vor einer Gruppe stehen können, Leitung, Organisation, Selbstwert ziehen aus dem Gebraucht-werden, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit … Man stelle sich in einem handwerklichen- oder Wirtschaftsbetrieb einen Bewerber vor, der diese Latte an persönlichen Eigenschaften zu präsentieren weiß. Es dürften mittlerweile die Betriebe sein, die sich um diesen potenziellen Arbeitnehmer bewerben. Das Ehrenamt im christlichen Jugendgruppen (und anderswo) fördert alles das und noch viel mehr. Schulungen, die zusätzliche Skills fördern wollen, sollten das Ehrenamt flankieren.
  3. Lege die Anforderungslatte für das Ehrenamt nicht zu tief. Eine Zeit lang habe ich intensiv und immer wieder Jugendliche zur Mitarbeit in der Jungschar rekrutiert. Mit jedem habe ich intensive Einzelgespräche geführt, und zwar bevor ich die Mitarbeit bestätigt habe. Ich hatte einen Anforderungskatalog: »Bist du zuverlässig anwesend, wenn du Mitarbeiter wirst? Bringst du deine Arbeit zu Ende, wenn du Mitarbeiterin wirst? Nimmst du an allen Besprechungen teil? Bist du bereit, Feedback zu geben und nehmen?« usw. Die Liste war lang, und nicht alle durften sich im Anschluss ehrenamtlich einbringen. Gleichzeitig aber waren die Teams mehr als voll und bestand keinerlei Verlässlichkeitsproblem. Alle wussten, sie haben einen anspruchsvollen Job zu erledigen, zu dem sie in sämtlichem Umfang freiwillig Ja gesagt hatten. Zuletzt gab es Wartelisten auf einen Platz in der Mitarbeit; wir hatten schlichtweg zu wenig Freizeiten und Events im Jungscharbereich (eines Landesverbandes) – weil Ehrenamtliche sich beweisen wollten, einem Anspruch gerecht zu werden, von dem sie sofort selbst spürten, dass er um der Kinder und des Projektes wegen an sie gestellt wurde. Und einer solchen höheren Aufgabe mochten sie sich gerne widmen und ihre Prioritäten neu sortieren.
  4. Mache die Vision der Kirche/Organisation zur Vision des Ehrenamtlichen. Die Vision einer einzelnen Aufgabe in deiner Arbeit sollte der gesamten Vision deiner Kirche oder Organisation entsprechen. Und der einzelne Ehrenamtliche sollte sich in seiner einzelnen Aufgabe in der Arbeit mit der gesamten Vision deiner Organisation verbinden können. Diese muss bekannt sein und du musst über diese sprachfähig sein. Mit dem Ehrenamtlichen muss hierüber ein Dialog geführt werden, um zu prüfen, ob der Ehrenamtliche sich mit der Vision deiner Organisation verbinden kann und mag. Eine Vision trägt weiter, als ein 08-15-Ehrenamt. Und die Beteiligung an einer Vision deiner Organisation, die zur eigenen wird, motiviert eigenständiger als jede Ermahnung an die Verbindlichkeit des Engagierten. Wie sagte mir mal ein Ehrenamtlicher einer ICF-Gemeinde so schön? »Ich schiebe keine Kisten durch die Gegend – ich bin im Aufbauteam engagiert, weil es meine Leidenschaft ist, dass Menschen Jesus Christus ähnlicher werden, dass sie furchtlos leben und ihr Umfeld positiv verändern.«
  5. Leite Ehrenamtliche. Und ich meine wirklich: leite Ehrenamtliche. Halte persönlichen Kontakt zu deinen Ehrenamtlichen. Lobe sie. Gib ihnen konstruktives, wertschätzendes Feedback. Führe sie auf einen Kaffee, auf ein Bier, auf ein Essen aus. Geh mit ihnen spazieren. Erkundige dich nach ihrem Wohlergehen. Ruf sie an. Biete ihnen ebenfalls Persönliches von dir an. Mache ihnen Geschenke, bete für sie, habe sie im Blick, mache sie zu Freunden, bilde sie aus, coache sie, trete für sie ein … Leite sie.

Jugend-Arbeit benötigt Ehrenamtliche. Wenn wir das ernst meinen, haben Verantwortliche in unserer Jugendarbeit ihren Fokus auf (potenziell) Ehrenamtlichen als Zielgruppe der Arbeit. Nicht nur als Ausführende. Ehrenamtliche (zurück) zu gewinnen, ist – insbesondere post-Corona – ein hartes Geschäft geworden. Jeder einzelne gewonnene ist ein Fest, keine Selbstverständlichkeit. So können wir auch beten, es geistlich betrachten und einordnen.

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