Zunächst einmal: Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal einen Artikel mit dem Titel »Toxic Church« schreiben würde. Das Thema ist mir bisher komplett fremd gewesen. Selbst schuld, wenn sie sich ausnutzen und von Leitern manipulieren lassen, anstatt ihre Freiwilligenarbeit oder das Geben ihres Zehnten mit Gott abzusprechen, dachte ich. Aber mittlerweile ist mir klar geworden, dass meine Eltern und meine Jugendleiter ein gutes Stück Anteil daran hatten, dass ich kein enttäuschtes Opfer einer Toxic Church bin. Mehr dazu später.

Was bedeutet »toxisch«?

»Toxische Beziehung« ist ein Fachbegriff aus der Psychologie, der in letzter Zeit vermehrt Aufmerksamkeit erhält.

Oft geht es dabei um die Aufarbeitung von kranken Glaubenssätzen, welche Kindern (un)absichtlich von ihren Eltern eingetrichtert wurden und um generellen Machtmissbrauch in der Familie und im Bekanntenkreis.

Aber auch in der Unternehmenswelt werden vergiftete Beziehungen beleuchtet. Hier geht es um Chefs oder Kollegen, die mit Mitteln der Manipulation versuchen, ihre Mitarbeiter emotional an sich zu binden und sie nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.

Foto Giphy

Bei sogenannten toxischen Kirchen geht es grundsätzlich um unprofessionelles Verhalten und Reden seitens der Leiterschaft gegenüber Kirchbesuchern und Gemeindegliedern. Mit unprofessionell ist hier gemeint: narzisstisch, manipulativ, ausgrenzend. Man könnte auch von sündiger Natur reden oder einfach … von Menschen. Die fehlgeleiteten Ziele dieser Personen können sein: eigene Ehre, Geld, das Gefühl von Macht. Bereits in der Bibel gibt es viele Beispiele dafür, wie gläubige Menschen ihre eigenen Ziele vor Gottes gesetzt haben und viel Leid verursachten.

Houston, wir haben ein Problem: Der Rücktritt des Hillsong-Gründers war ein Aufruf zu einem besonnenen Leben. Foto thri.st

In der jüngeren Vergangenheit wurde das Thema Missbrauch in Freikirchen vielmals medial thematisiert. Podcasts wie »The Rise and Fall of Mars Hill«, »Toxic Church: Die Hillsong Story« oder »frauthentisch« mit der Serie #churchhurt beleuchten verschiedene Fälle von geistlichem Missbrauch und menschlicher Manipulation in evangelischen Freikirchen.

Oft sind es junge Menschen, die Opfer von missbräuchlichem, expansionsgierigem, narzisstischen Verhalten von Leitungspersonen werden und lange nicht merken, dass sie gar nicht »Gottes«dienst, sondern »Menschen«dienst machen.

Wie schütze ich meine Teens vor missbräuchlichen Leitungspersonen?

Wie mache ich also die Teenager aus meiner Jugendgruppe oder aus meiner Familie stark, dass sie sich nicht ausnutzen lassen? Die Antwort ist ganz einfach, aber schwierig. Du bringst deinen Teens und dir selbst bei, #gottzentriert zu leben. Denn überall da, wo wir auf Gott hoffen, machen wir unser Wohlbefinden und unsere persönliche Entwicklung, unsere Freiwilligenarbeit und unseren Erfolg unabhängig von Menschen.

König David in der Bibel hat uns das beste Beispiel für ein gottzentriertes Leben gegeben.

David suchte Gott täglich, schrieb ihm Lieder und Gedichte, legte Gedanken und Gefühle vor Gott hin und ließ sich von Gottes Größe beeindrucken und in seinen Entscheidungen leiten.

Das half ihm, nicht auf die menschlichen Stimmen in seinem Leben zu hören, als es darum ging, einen Riesen zu bekämpfen. Es half ihm, den Machtmissbrauch seines Vorgesetzten König Saul physisch und psychisch zu überleben. Es half ihm, den Bau eines Gotteshauses zu vertagen, obwohl er zunächst dachte, er würde Gott damit eine Freude machen. (Buchtipp: »Der Stoff, aus dem Könige sind«, von Gene Edwards). Hier also ein paar Punkte zur Selbsthilfe:

#1 Leite die Teens in deiner Jugendgruppe oder in deiner Familie an, die Bibel selbst zu lesen.
Zeige ihnen, wie man zum Bibelforscher wird und sich in den Wirren der Bibelauslegung zurechtfinden kann. Schau mit ihnen Bibelfilme an, kaufe Bibel-Comics für die weniger belesenen Teenager. So können sie während einer Predigt zwischen einer gut zitierten Quelle und Quatsch unterscheiden.

#2 Schaffe Möglichkeiten für eigene spirituelle Erfahrungen. ‌‌
Wie macht man bitteschön spirituelle Erfahrungen? Nunja, erstens, indem man die Bibel liest und sie zu sich sprechen lässt. Wenn dein Teen erlebt, wie Gott plötzlich durch einen Vers ganz klar in sein Leben spricht, dann hat er eine spirituelle Erfahrung gemacht. Dasselbe passiert zweitens oft beim Bewundern der Natur. Beim Beten generell. Beim Lobpreis. Beim Hören einer Predigt. Beim Erleben einer Gebetserhörung. Bei der Evangelisation. Bei einem Missionseinsatz.

Eine richtig gute Möglichkeit für das Machen eigener Erfahrungen mit Gott ist die sogenannte Zeit der Stille. Deshalb wird an vielen christlichen Camps ein Vormittag der Stille durchgeführt. Die Teenager werden mit Schreibzeug und einer kleinen Anleitung an einen Ort der Stille geschickt, jeder für sich. Die Anleitung beinhaltet meist Bibelverse des Zuspruchs von Gott und Fragen zur Lebenssituation der Teenager. Es wird ermuntert, Gott einen Brief zu schreiben, oder einen Brief von Gott an sich selbst zu schreiben. Also im Grunde einen Psalm 😉.

Viele Teenager erleben in dieser Zeit Momente des echten Friedens und der Versöhnung mit Gott und sich selbst. Mit solchen Erlebnissen im Gepäck sind deine Teens hoffentlich stärker an den Glauben selbst und weniger an Menschen gebunden. Wenn dann Menschen Fehler machen, müssen sie das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern haben auch nach dem Erleben von Kirchenproblemen weiter Selbstachtung und Gottvertrauen.

#3 Bete für deine Teenager und bleibe in Kontakt mit ihnen, wenn sie sich eine neue Gemeinde suchen.
Oder finde Menschen, die mit ihnen in Kontakt bleiben und durch regelmäßiges Nachfragen helfen können, sich in der neuen Gemeinde zurechtzufinden. So hilfst du ihnen, Unstimmigkeiten anzusprechen und mit anderen Erwachsenen, die nicht direkt betroffen sind, zu beurteilen.

#4 Erlaube und ermutige den Besuch anderer christlicher Angebote und erweitere so den spirituellen Horizont deiner Teenager.
Keine Kirche hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, wie man Gott am besten anbetet. Möglicherweise liebt Gott Rock’n’Roll, musste tausende Jahre warten, bis der endlich erfunden wurde und ist enttäuscht, dass heute nur Hymnen, Schlager- und Popmusik auf die Kirchenbühnen kommen? Möglicherweise liebt er die 10-Punkte-Predigt, wurde aber wegen amerikanischen Management-Erkenntnissen auf eine standardmäßige 3-Punkte-Predigt reduziert? Durch das gemeinsame Besuchen anderer christlicher Angebote, nicht nur der eigenen (also z.B. Taizee oder Heartbeats Festival oder PraiseCamp oder Christival oder Kloster oder Sommerlager), hilfst du deinen Teenagern, Stilfragen von Kirchen weniger wichtig zu nehmen.

PraiseCamp 2022 Higlights-Video

In meinem eigenen Leben war dieser Punkt womöglich matchentscheidend. Ich bin nicht nur in einer Kirche großgeworden, sondern konnte mit Ermutigung der Eltern immer schon Angebote von anderen Kirchen in Anspruch nehmen (Tanzen, Jungschar, Camps). Sobald ich Teenager war, suchte ich mir nach einem Umzug eigenständig eine Gemeinde. Als diese wegen toxischem Verhalten im Leitungsteam zerfiel, war ich bereits weg im Studium und als dort ein Hauskreisleiter begann, sich sektiererisch zu verhalten, suchte ich mir flugs eine andere Gemeinde. Diese war vom Stil her ungefähr so schräg wie Adrian Plass’ Gemeinde im »Tagebuch eines frommen Chaoten«, aber tatsächlich war Gott auch dort zu erleben. Aufgrund dieser Gemeindewechsel, hauptsächlich wegen Umzug und Auslandsaufenthalten, konnte ich eine Vielzahl Gemeindestile erleben.

Im Gegensatz zur Ehe erlaubt Gott bei der Gemeindewahl nämlich eine »Lebensabschnittsgemeinde«. Einige Menschen des Neuen Testaments hatten ebenfalls mehrere.

Dies ist kein Aufruf zum Gemeinde-Hopping als erste Frustreaktion auf anstrengende Menschen oder schlechte Musik in deiner Gemeinde, sondern eine Einladung, jeweils mit Gott abzuklären, wo er dich haben will.

#5 Lass sie mit Gott Entscheidungen treffen.
‌‌»Ich bete mal darüber.« Wenn dir das jemand sagt, kannst du mit einem Nein schon fast rechnen. Gott wird nur vorgeschoben, um dir nicht eine sofortige, kalte Absage zu erteilen. Oder: »Betet darüber, wo Gott euch haben will, denn die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige.« Das heißt so viel wie »Entscheidet euch bald und Gott wird euch garantiert irgendwo im Team haben wollen, weil wir dringend Freiwillige brauchen.«

Trotzdem sollte der Satz »Der Mensch denkt, Gott lenkt« beim Thema Freiwilligenarbeit wörtlich genommen werden. Denn natürlich sind deine Jugendlichen aufgerufen, ihre Talente zu nutzen. Aber das Ausleben ihrer Gaben geht Hand in Hand mit der Berufung Gottes.

Nur weil man gut schießen kann, muss man noch lange nicht ins Militär gehen. Nur weil man gut singen kann, muss man nicht zwingend jeden Sonntag im Lobpreisteam mitmachen. – Priscilla Alvarez, Kolumnistin bei MRJ

Ermutige deine Teenager also zum nüchternen Abwägen einer Anfrage (zum Beispiel mit einer Pro-/Kontra-Liste) unter gleichzeitigem Gebet. Manchmal macht eine Gemeinde den Fehler, ein »erfolgreiches« Programm weiterzuführen, das anfänglich von Gott inspiriert war und scheinbar DIE Berufung ist, obwohl es schon lang keine Leute mehr hat, die das von Herzen mittragen können. Dann helfen viele »Neins« seitens der Gemeindeglieder, das Programm mal zu überdenken.

#6 Bring deinen Teenagern Selbstverteidigung und Vergebung bei. ‌‌
Gerne lächeln wir über die große Leidenschaft der Gen Z, ihre eigenen Rechte und Positionen als wahnsinnig wichtig anzuerkennen. Und wünschen ihnen so manches mal, sie würden einfach mal die Zähne zusammenbeißen und arbeiten.

Aber genau dieses Selbst-Bewusstsein kann ihnen in der Gemeinde helfen, sich gegen missbräuchliches Verhalten zu wehren. In der Bibel werden die Gläubigen ausdrücklich eingeladen, einander zu ermahnen und dafür gibt es keine Altersgrenze. Ein humorvoller Jugendabend zum Thema »Ermahnen« oder »konstruktives Feedback« könnte diese Kunst fördern. Oder zu Hause das regelmäßige Abhalten eines Familienrates. Das konstruktive und zeitsensible Anbringen von konstruktivem Feedback kann von dir geübt werden.

Schaffe Zeitfenster und Prozesse, in denen deine Teammitglieder dir (und einander) Feedback geben können.

Auch wenn deine Jugendlichen gut gewappnet sind, werden sie Enttäuschungen erleben. Oder von sich selbst enttäuscht sein, weil sie ihren Erwartungen nicht entsprechen. Gott hat uns durch die Vergebung einen Weg gezeigt, wie wir wieder in Frieden mit ihm, mit uns selbst und mit den Menschen um uns herum leben können. Lasst uns die Vergebung vorleben und »Liebe anstatt Hiebe« verteilen.

#7 Und zuletzt: Hör endlich auf, dich selbst toxisch zu verhalten ‌‌
… und deine eigenen Unzulänglichkeiten und ungesunden Verhaltensmuster an andere weiterzugeben. Lebe »Liebe statt Hiebe« ganz konkret.

»Weck mit alten Mustern! Stop It!« Video

Wie bereits erwähnt, ist der Schutz vor toxischer Beziehungen einfach, aber schwierig. 😇 Also hör auf, nach Geld (für deine Kirche) zu streben. Hör auf, einen coolen Eindruck machen zu wollen. Du bist wichtig und wertvoll, aber die Welt dreht sich nicht um dich. Hör auf, rumzuschimpfen, wenn zuhause etwas nicht nach deinem Plan läuft. Hör auf, nur die offensichtlich Begabten in deiner Jugendgruppe zu umgarnen. Hör auf, dich nur wertvoll zu fühlen, wenn du etwas leistest. Hör auf, deinen nächsten Urlaub als das Paradies anzusehen und die Zeit bis dorthin wie ein Märtyrer durchzustehen. Du lebst jetzt und Gott mit dir. (PS: Nur weil wir hier einen Wegweiser in die richtige Richtung aufstellen, heißt das nicht, dass wir es selber schon geschafft haben, dorthin zu laufen.)

Dogma: DER Pull-out aus der Gemeinschaft von Christen

Überall, wo Menschen zusammenkommen, gibt es Stress. Und keine Kirche hat die perfekten Menschen oder vollkommene Strukturen. Francis Chan sagt in »Briefe an die Kirche«:

»Wir sind so weit von dem abgekommen, was Gott Kirche nennt. Wir alle wissen es. Wir wissen, dass das, was wir erleben, radikal anders ist als die Kirche in der Bibel. Für viele Jahrzehnte haben Gemeindeleiter wie ich selbst die Sicht für das der Kirche innewohnende Geheimnis verloren. Wir haben Menschen, die in den Kirchenbänken saßen, darauf trainiert, süchtig nach Geringerem zu werden. Es ist Zeit für eine Veränderung.« – Francis Chan, »Briefe an die Kirche«

Andererseits ist Kirche grundsätzlich dogmatisch unterwegs. Das heißt, sie wird immer Leute vor den Kopf stoßen und Menschen ausgrenzen, die an bestimmten Verhaltensweisen festhalten, die biblischen Lehren diametral widersprechen. Und um sich die eigene Entscheidung schönzureden, distanzieren sich dann manche von der Strenge der Kirche. Wie ein Raser, der lieber über Geschwindigkeitsbegrenzungen lästert als Einsicht zu zeigen. Welches Dogma ist aber richtig? Die Kirche ist vor allem ihren eigenen Dogmen verpflichtet. Kein lokaler Tennisclub sollte die Tennisregeln ändern, nur weil einige Mitglieder keinen Bock auf Verlieren haben. Eher sollten diese aus dem Cub austreten. Gott ist kein Fan von lauwarmen, unentschlossenen Mitläufern. Er ist zwar voller Gnade, bevorzugt es aber, wenn Menschen ihm gegenüber heiß oder kalt eingestellt sind (Offenbarung 3, 16).

Nur um welche Tennisregeln geht es? Im Podcast Toxic Church kommen nebst hyperausgepowerten Freiwilligen auch Menschen zu Wort, die sich gezwungen fühlten, zwischen ihrer Kirche und einem glaubensfernen Liebespartner zu entscheiden. Oder zwischen Kirche und Partyleben. Eine Interviewte sagte, sie fürchtete, nicht mit ihrem Freund zusammenbleiben zu können, da er ihr Credo »kein Sex vor der Ehe« sicherlich nicht nachvollziehen könnte. In solchen Dilemmas stecken viele. In ihrem Fall hat sie sich von ihrem Partner getrennt, nachdem sie es in der Stillen Zeit so von Gott gehört hatte. Woraufhin sie Gott wider Erwarten gar nicht mehr spürte und sich plötzlich komplett entwurzelt fühlte.

»Behalte den Glauben, den du für dich selbst hast, vor Gott. Selig, wer bei dem, was er zu prüfen hat, nicht mit sich ins Gericht gehen muss!« (Römer 14,22) Foto Ben White

Wie können unsere Teens unterscheiden, ob etwas, was ihre Kirche ihnen hinsichtlich ihrer freiwilligen Mitarbeit, ihrer Finanzen oder ihres Sexuallebens suggeriert, biblisch zu begründen ist oder nicht? Und wie sie dann konkret in ihrem eigenen Leben entscheiden sollen?

»Wir versuchen unseren Kindern beizubringen, selber zu denken. Am Ende müssen sie mit sich im Reinen sein über das, was sie glauben.« – Simea Gut, Podcast frauthentisch

In diesem Sinne hilft wieder Tipp #1 von oben, mit dem Bibelstudium. Und folgender Vers: »Behalte den Glauben, den du für dich selbst hast, vor Gott. Selig, wer bei dem, was er zu prüfen hat, nicht mit sich ins Gericht gehen muss!« (Römer 14,22)

Fragen, die du mit deinen Teenagern besprechen kannst:

  • Würdest du eher deine Kirche weniger ernst nehmen oder versuchen, dich den Lehren oder »Anforderungen« deiner Kirche unterzuordnen? Warum? Mit wem besprichst du Fragen wie diese?
  • Hast du schon einmal selbst entschieden, was du für richtig hältst in Bezug auf eine Lehre deiner Kirche? Wie fühlte sich das an?
  • Welche Dogmen der Kirche sind deiner Meinung nicht mehr zeitgemäß? Warum? Sollte sich die Kirche anpassen oder nicht? Warum?

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